Wechseljahre und Psyche: Wenn die Hormone kopfstehen

Drei Frauen sitzen entspannt auf einem Fenstersims vor einem grossen Fenster und unterhalten sich

Die Wechseljahre betreffen nicht nur den Körper. Auch die Psyche fährt Achterbahn – Gereiztheit, Ängste, gar Depressionen sind häufig. Erfahren Sie, warum das so ist und wie Betroffene und ihre Angehörigen wieder Boden unter den Füssen finden. Mit Inputs einer Gynäkologin und einer Psychologin.

Warnzeichen und Symptome der Wechseljahre

Plus/minus mit 45 Jahren geht er los: der Übergang in die Wechseljahre. Die einen Frauen spüren ihn mehr, die anderen weniger. Auch in der Psyche. Gereiztheit, sexuelle Unlust, Konzentrationsprobleme, depressive Verstimmungen, Ängste, innere Unruhe – oft schleichen sich solche Symptome ein, ohne dass man sie richtig einordnen kann. Das macht diese Lebensphase besonders tückisch: Viele Frauen, und erst recht ihre Angehörigen, erkennen den Zusammenhang mit den Wechseljahren erst, wenn der Leidensdruck längst hoch ist. Dabei liesse sich mit dem Wissen darum meist schon viel besser damit umgehen Und auch Missverständnisse wären so zu vermeiden.

Checkliste:

Psychische Symptome und Wesensveränderungen in den Wechseljahren:

  • Gereiztheit ohne nachvollziehbaren Grund
  • Stimmungsschwankungen
  • Schlafprobleme und Schlaflosigkeit trotz Erschöpfung
  • Überforderung im Alltag
  • Konzentrationsprobleme
  • Sexuelle Unlust trotz intakter Partnerschaft

Stimmungsschwankungen in der Menopause

«Ich war ständig gereizt und fuhr Mitmenschen an – für Dinge, die gar nicht schlimm waren.» So beschreiben Betroffene ihre Erfahrungen mit dem Übergang in die Wechseljahre (auch Perimenopause genannt). Neben den bekannten Hitzewallungen geraten bei vielen Frauen auch Stimmung und Nerven in dieser Phase aus der Balance. Angehörige, Freundeskreis und Arbeitskollegen leiden unter den Wesensveränderungen oft mit.

Psyche aus dem Lot: Hormone als Ursache

«Die Schwankungen des Östrogenspiegels gleichen einer zweiten Pubertät», erklärt Gilliane Alder, Chefpsychologin Psychosomatik und Psychiatrie in der Klinik Gais. Das Gehirn bekommt plötzlich andere Signale als gewohnt, was sich direkt auf die Stimmung auswirkt. Gereiztheit, Ängstlichkeit, depressive Verstimmungen: Mehr als jede zweite Frau erlebt in dieser Phase solche psychischen Symptome. Rund 40 Prozent der Frauen fühlen sich davon im Alltag eingeschränkt.

Über die Expertin Gilliane Alder

Gilliane Alder ist Psychotherapeutin FSP und Chefpsychologin Psychosomatik und Psychiatrie in der Klinik Gais.

Menopause: Wenn Östrogen, Progesteron und FSH aus dem Takt geraten

Während das Östrogen Achterbahn fährt, um schliesslich zu sinken, nimmt das Progesteron kontinuierlich ab. Gleichzeitig steigt das follikelstimulierende Hormon (FSH). «Diese hormonellen Turbulenzen wirken sich nicht nur körperlich, sondern auch direkt auf die Psyche aus», sagt Gilliane Alder. Kein Wunder also, wenn Körper und Kopf Pingpong miteinander spielen, ohne klare Ansage, was eigentlich los ist.

Ein Teufelskreis aus Körper und Kopf

«Viele Frauen berichten, dass sie sich selbst nicht mehr erkennen», ergänzt Dr. Karin Camastral-Urech, Gynäkologin und Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Kantonsspitals Winterthur. Das sind zum einen direkte psychische Wesensveränderungen, zum anderen aber auch Folgen der körperlichen Wechseljahr­symptome. Schlaflose Nächte, Hitzewallungen, Scheiden­trockenheit– ein klassischer Teufelskreis mit Erschöpfung, Gereiztheit und sexueller Unlust. «Wenn die Nächte unruhig werden, fehlt am Tag die Energie. Die Reizschwelle sinkt, Alltag und Beziehungen werden zur Herausforderung – eine Abwärtsspirale, die ohne Hilfe manchmal schwer zu meistern ist. Und Schmerzen beim Sex wegen Scheidentrockenheit sind natürlich auch nicht förderlich für das Liebesleben», berichtet die Gynäkologin.

Über die Expertin Dr. med. Karin Camastral-Urech

Dr. med. Karin Camastral ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Leitende Ärztin in der Frauenklinik des Kantonsspitals Winterthur.

Wenn der Alltag zur Challenge wird

Plötzlich ist alles zu viel: Im Job fehlen Geduld und Konzentration, zu Hause kracht es mit dem Partner oder den Kids. «Ich fühlte mich nicht mehr wie ich selbst. Schon am Morgen hatte ich das Gefühl, alles scheisst mich an – da kann man ja nicht freundlich im Büro sitzen», beschreibt eine Betroffene.

Gereizt im Job, überfordert im Alltag

Psychologin Gilliane Alder erklärt: «Zusätzlich zu all den Beschwerden erleben viele Frauen in der Perimenopause, dass sich andere Bedürfnisse entwickeln. Diese kollidieren oft mit dem Alltag. Konflikte und Missverständnisse in Familie, Job und Partnerschaft sind fast vorprogrammiert.»

Missverständnisse und Selbststigmatisierung

«Ach, sie hat halt ihre Wechseljahre» – solche Bemerkungen machen es nicht leichter. «Weil so wenig offen über diese Phase gesprochen wird, ziehen sich Betroffene oft zurück», sagt Gilliane Alder. Zur Stigmatisierung von aussen kommt häufig noch die eigene hinzu: Anstatt sich Unterstützung zu holen, machen sich viele Frauen selbst Vorwürfe. Sie glauben, sie müssten weiterhin funktionieren; Schuld, Scham und Selbstzweifel bringen sie zum Verstummen.

Es wäre oft schon eine Entlastung, zu wissen: Es liegt nicht an mir selbst, sondern an den hormonellen Turbulenzen – und ich darf mir Hilfe holen.
Das betont Gilliane Alder, Chefpsychologin Psychosomatik und Psychiatrie in der Klinik Gais.

Was gegen psychische Wechseljahrbeschwerden hilft

Was tun bei psychischen Wechseljahrbeschwerden? Es gibt verschiedene Wege, sich helfen zu lassen:

  • Mit der Gynäkologin über eine mögliche Hormonersatztherapie sprechen.
  • Komplementäre Methoden von einer Fachperson begleiten lassen.
  • Bei Bedarf sich nicht scheuen, psychologische Hilfe zu suchen.
  • Eigene Ressourcen aktivieren: Tun Sie, was Ihnen Freude macht!
  • Sich nicht selbst verurteilen: Sie sind nicht schuld an Ihrem Gefühlszustand. Die Wechseljahre sind eine natürliche Sache und gehören zum Leben.
  • Und das Umfeld: Stimmungsschwankungen nicht persönlich nehmen. Der Betroffenen «Me-Time» ermöglichen.

Hormonersatztherapie: Ein möglicher Schlüssel

Viele Frauen berichten: Mit der richtigen Hormonersatztherapie kehrt plötzlich wieder Ruhe ein – im Körper und im Kopf. Sowohl Psychologin Gilliane Alder als auch Gynäkologin Karin Camastral-Urech bestätigen: Die individuell angepasste Hormon­ersatztherapie kann nicht nur körperliche, sondern auch psychische Beschwerden lindern. Viele Frauen spüren dadurch wieder mehr Boden unter den Füssen.

Komplementäre Wege nutzen

Doch auch ohne Hormone gibt es Wege, die Psyche zu entlasten, etwa aus der Pflanzenwelt:

  • Johanniskraut kann bei depressiven Verstimmungen unterstützen.
  • Traubensilberkerze hilft, die Stimmung zu stabilisieren.
  • Lavendel beruhigt oft bei innerer Unruhe.
  • Ginkgo und Ginseng können gegen Konzentrationsprobleme und Erschöpfung helfen.
  • Auch Akupunktur schlägt bei vielen Frauen gut an.

Beraten lassen

«Oft ergänzt sich Komplementärmedizin ideal mit einer anderen Therapie, und eine individuelle Therapieanpassung ist gefragt», sagt Dr. Karin Camastral-Urech. «Ob Hormone, pflanzliche Präparate oder andere Wege – wichtig ist, dass Frauen sich von einer Fachperson beraten lassen.»

Psychologische Hilfe bei Wechseljahrbeschwerden

«Viele Frauen kommen mit einem Berg an Problemen in die Therapie – und merken erst dann erleichtert: Ein Teil davon ist schlicht hormonell bedingt», sagt Gilliane Alder. Wichtig sei, zunächst genau hinzuschauen: «Wir schauen gemeinsam, was die Hauptbelastung ist. Die Partnerschaft? Die körperlichen Symptome? Oder die Ängste? Dann setzen wir gezielt dort an, wo der Leidensdruck am grössten ist.»

Genau hinschauen: Wo endet der Körper, wo beginnt die Psyche?

In den Wechseljahren geraten Körper und Psyche oft durcheinander. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen. Zum Beispiel bei sexueller Unlust: Manchmal steckt schlicht eine Scheidentrockenheit dahinter, manchmal sind es lang schwelende Partnerschaftskonflikte. «Es lohnt sich, das Zusammenspiel von Körper, Psyche und Umfeld bewusst zu reflektieren und auch einmal genauer hinzuschauen, was sich verändern lässt», empfiehlt Gilliane Alder.

Eigene Ressourcen aktivieren: Was tut mir gut?

In schwierigen Phasen gehen oft genau die Dinge verloren, die früher Freude gemacht haben. «Viele Frauen entdecken in der Therapie alte Ressourcen wieder – oder trauen sich, Neues auszuprobieren», sagt Psychologin Gilliane Alder. Ob Bewegung, Malen, Musik oder Spaziergänge: Alles, was positive Gefühle weckt, hilft der Psyche auf die Sprünge und weckt auch die Glücks­hormone. Und auch das Umfeld kann unterstützen – etwa, indem es Raum für «Me-Time» schafft.

Fazit: Wechseljahre annehmen und Neues wagen

Die Wechseljahre sind keine Krankheit, sondern eine natürliche Phase des Lebens. «Niemand muss sich da durchsiechen. Es gibt viele Möglichkeiten, Beschwerden zu lindern und die Lebens­qualität spürbar zu verbessern», betont Gynäkologin Karin Camastral-Urech. Psychologin Gilliane Alder ergänzt: «Es braucht Akzeptanz für diese Phase. Zu sagen: Jetzt ist es so – und ich lebe mein Leben trotzdem, so, wie es mir guttut.»

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