Geburtstrauma: Das Empfinden der Frau ist entscheidend
Die Geburt eines Kindes wird als freudiges Ereignis erwartet, doch traumatische Erlebnisse können sie zu einem schmerzhaften Kapitel machen. Durch belastende Erfahrungen, mitunter auch physische Eingriffe kann ein Geburtstrauma entstehen, welches Narben hinterlässt, die noch lange nach der Geburt spürbar sind.
Was ist ein Geburtstrauma?
Neben physischen Verletzungen, die während des Geburtsprozesses entstehen und als Geburtstrauma bezeichnet werden, kann auch das subjektive, traumatische Erleben der Geburt zu einem psychischen Geburtstrauma führen.
Wie entsteht ein Trauma während der Geburt?
Ein psychisches Geburtstrauma entsteht durch stark belastende Gefühle und Reaktionen während der Geburt. Rund 20% der Geburten beeinträchtigen so die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Frau. Rund 10% zeigen in den ersten Wochen nach der Geburt eine stressbedingte Reaktion.
Mögliche Auslöser für ein Geburtstrauma können sein:
- Starke Schmerzen
- Intensive Angst
- Gefühle von Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und Kontrollverlust
- Grosse Diskrepanz zwischen Erwartungen und tatsächlichem Geburtsverlauf
- Reaktivierung früherer traumatischer Erfahrungen durch bestimmte Trigger während der Geburt
Gewalt unter der Geburt
Auch physische oder psychische Gewalt kann im Zusammenhang mit einem Geburtstrauma eine zentrale Rolle spielen.
Physische Gewalt
- Grobe Behandlung bei medizinischen Eingriffen
- Durchführung von Eingriffen ohne Einwilligung (z.B. Kaiserschnitt)
Psychische Gewalt
- Verbale Übergriffe wie Anschreien, Beschimpfungen oder Beleidigungen
- Ignorieren der Wünsche und Bedürfnisse der Gebärenden
- Ausübung von Druck oder Drohungen
Wie erleben Frauen ein Geburtstrauma
Entscheidend für die Entwicklung eines Traumas ist, wie die gebärende die Geburt erlebt. Die Betroffene Rita erzählt von ihren Erfahrungen.
Traumatische Geburt verarbeiten – Betroffene Rahel erzählt
Verarbeiten der belastenden Geburtserfahrung
Für die Geburt ihrer zweiten Tochter hatte Rahel sich eine Vaginalgeburt gewünscht. Doch als die Herztöne des Babys im Verlauf der Geburt fielen, entschieden die Ärzte, es per Notkaiserschnitt zu holen. Wie dramatisch die Situation war und dass sowohl das Leben ihrer Tochter als auch ihr eigenes in Gefahr schwebte, das wurde Rahel erst später richtig bewusst. Bis heute belastet sie zudem, was danach geschah. «Ich konnte meine Tochter nach der Geburt nicht bei mir haben, das Bonding konnte nicht stattfinden.» Für sie eine traumatische Erfahrung. Wegen wiederholter Atemaussetzer wurde die Kleine von der Neonatologie in die Intensiv-Neonatologie verlegt. Rahel konnte aufgrund ihrer schweren inneren Verletzungen nicht transportiert werden. Ansonsten, so sagt sie, hätte sie darauf bestanden, ihre Tochter zu begleiten. Zur Verarbeitung der traumatischen Geburt war für Rahel der Austausch mit Gleichgesinnten wichtig, weshalb sie gerne Teil einer Selbsthilfegruppe für Geburtstrauma werden wollte.
Geburtstrauma vorbeugen
Dr. med. Werner Stadlmayr ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und spezialisiert auf Psychosomatische Medizin. Um einem Geburtstrauma vorzubeugen, unterstützt er seine Patientinnen mit verschiedenen Massnahmen. Unter anderem veranschaulicht er den Geburtsprozess mit dem Bild einer langen, herausfordernden Wanderung. «Am Anfang mag es überwältigend wirken. Doch mit der Zeit findet die Frau ihren eigenen Rhythmus, konzentriert sich auf ihren Atem und arbeitet sich Schritt für Schritt voran. Sie darf nach Innen gehen. Unterstützung von Aussen ist da und man passt auf sie auf.»
Dem Trauma unter Geburt entgegenwirken – Experte erklärt
Mit den eigenen Wünschen und Ängsten auseinandersetzen
Dr. med. Stadlmayr betont, wie wichtig es ist, Frauen in ihrer Selbstorganisation zu unterstützen und zu stärken. Beispielsweise müssen Sorgen, Ängste und Bedenken offen ausgesprochen werden dürfen. So kann die Frau allein oder eben im Gespräch für sich herausfinden, was ihr bei der Geburt helfen kann und was sie vielleicht in welchen Momenten zur Unterstützung möchte oder eben nicht möchte. Diese mentale Vorbereitung kann es ihr erheblich erleichtern während der Geburt mitzureden und mitzubestimmen.
Es ist entscheidend, ob sich die Frau während der Geburt miteinbezogen fühlt, also ob sie sich als passives Objekt oder als aktives Subjekt wahrnimmt. Die Perspektive macht den Unterschied, ob etwas traumatisierend wirkt, oder verarbeitet werden kann.
Partner mit einbeziehen: eine wertvolle Unterstützung
Es ist wichtig, auch den Partner in den Prozess einzubeziehen. Erst wenn der Mann selbst entspannt ist, kann er seine Frau optimal unterstützen. Dadurch entsteht ein Gefühl von Einheit, das für die werdenden Eltern besonders stärkend und heilsam sein kann.
Ein weiterer Punkt ist die Beziehung zwischen der werdenden Mutter und der Hebamme. Falls nötig, kann der Arzt nachhelfen, um diese zu stärken. Das gelingt oft durch intuitives Handeln, aber manchmal hilft es auch, gezielt darüber zu sprechen und beide Seiten abzuholen, sagt Dr. med. Stadlmayr.
Mit sanften Methoden beginnen
Ebenfalls rät er unbedingt mit sanfteren Methoden zu beginnen, welche auf die Vorlieben der Frau abgestimmt sind. Beispielsweise kann das ein warmes Bad sein. Sollten diese nicht den gewünschten Effekt haben, könnten stärkere Mittel wie eine PCA-Pumpe (patientenkontrollierte Analgesie) oder als letzte Option eine PDA (Periduralanästhesie) noch immer in Betracht gezogen werden.
Zwischen medizinischer Verantwortung und subjektivem Erleben
Dr. med. Stadlmayer betont jedoch auch die Subjektivität des Geburtserlebens, welche es so schwierig macht die Vorbeugung eines Geburtstraumas in die Ausbildungen der Behandlerinnen und Behandler mit einzubeziehen. Für diese hoch subjektive Ebene der Psychotraumatisierung gibt es keine Parameter.
«Das eine ist, was ich erlebe, und das andere, was ich tue. Dieselbe Handlung kann auf unterschiedliche Weise wahrgenommen werden: In einem Fall wird sie als übergriffig empfunden, in einem anderen als akzeptiert und integriert. Der Unterschied liegt oft in der Art und Weise, wie die Handlung ausgeführt wird.»
Hilfe finden und Geburtstrauma verarbeiten
Ein Trauma bedeutet, dass zwischen den Geschehnissen und dem aktuellen Zustand eine Lücke ist, die Abläufe dazwischen fehlen. Deshalb ist es besonders wichtig, in der Therapie das Narrativ zu erstellen, indem man die Abläufe Schritt für Schritt durchgeht und klärt, was wann und warum passiert ist, um das Erlebte zu verarbeiten. Dieser Prozess der Aufarbeitung des Geburtstraumas ist ein wesentlicher Bestandteil der Heilung.
Es gibt verschiedene Anlaufstellen, bei denen betroffene Frauen Unterstützung finden können.
Da wo die Welt noch in Ordnung war bis zum heute müssen wir einen Bogen hinkriegen.
Psychotherapie
Ausgebildete Therapeuten unterstützen im Umgang mit Trauma. Sie helfen in der Trauma-Therapie, das Erlebte zu verarbeiten, zu integrieren und den Heilungsprozess zu fördern.
Hebammen und Geburtshelfer
Viele Hebammen bieten auch nach der Geburt Nachsorge und Unterstützung an. Sie können eine erste Anlaufstelle sein, um eine traumatische Geburt zu verarbeiten und bei Bedarf an Spezialisten weiterverweisen.
Spezialisierte Netzwerke
Die Organisation «Schweizer Netzwerk Verarbeitung Geburt» vermittelt Adressen von gezielt ausgebildeten Fachpersonen, die bei der Aufarbeitung eines Geburtstraumas helfen können.
Gesprächsgruppen
Der Austausch mit anderen Müttern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann eine wertvolle Unterstützung sein. Lokale Selbsthilfegruppen bieten hier häufig eine gute Anlaufstelle. Auch die Betroffene Rahel Rupp hat eine solche Selbsthilfegruppe für Geburtstrauma ins Leben gerufen.
Quellen
- Artikel, National Library of Medecine «Developing a woman-centered, inclusive definition of traumatic childbirth experiences: A discussion paper»
- Artikel, ibp institut «Trauma und Traumatherapie»
- Artikel, Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie «Traumatische Geburtsverläufe: Erkennen und Vermeiden»
- Studie, Berner Fachhochschule Zwang unter Geburt: Ergebnisse einer schweizweiten Umfrage