Faszination Trailrunning: Interview mit Kathrin Götz
Kathrin Götz ist eine der besten Trail-Runnerinnen der Schweiz. Die 40-jährige Solothurnerin gewann 2019 zum zweiten Mal den Eiger Ultra Trail. Die dreifache Mutter und Teilnehmerin der Trail-WM in Portugal benötigte für die 101 Kilometer und 6700 Höhenmeter rund 14 Stunden.
Interview mit Kathrin Götz
Wie hat sich das wettkampfmässige Trail-Running in den letzten Jahren entwickelt?
Das Interesse daran ist extrem gestiegen. Die meisten grossen Wettkämpfe sind innerhalb von Minuten ausgebucht. Deshalb werden Startplätze nur noch verlost.
Trail-Running: Was genau versteht man darunter?
Trail-Running hört sich so abgefahren an. Dabei ist es einfach Rennen in der Natur, Joggen im Gelände abseits von asphaltierten Strassen. Die Ausprägungen des Trail-Runnings sind vielfältig: vom Jogging im Park auf ebenen Flächen bis hin zu Ultraläufen in mehreren Etappen über die Alpen.
Sie wählen klar die zweite Variante. Sie nehmen an Läufen mit Ultra-Distanzen, also Rennen über 42 Kilometer, teil. Welche Distanzen liegen Ihnen besonders?
Am liebsten laufe ich zwischen 50 und 100 Kilometer. Für weitere Distanzen benötige ich sehr viel Energie, entsprechend verlängert sich dann die Erholungszeit. Dagegen sind für mich Läufe unter 50 Kilometer fast schon stressig, weil sie für mich eher kurz sind. Aber auch das macht zwischendurch Spass.
Wie motivieren Sie sich bei extrem langen Rennen?
Ich teile mir das Rennen ein und denke von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation. Ich freue mich auf die Verpflegung, weil ich weiss, dass ich da etwas anderes Essen kann als unterwegs. Oft geht aber auch einfach der Blick nach innen: Brauche ich etwas? Wie geht‘s gerade? Kann ich noch? Und natürlich habe ich volle Konzentration auf den Weg, denn die Wege sind anspruchsvoll. Es gab auch schon Rennen, da habe ich mich erwischt, wie ich denke: Ah ich bin ja an einem Rennen! Da waren die Gedanken anderswo.
Schauen Sie während des Rennens auf Ihre Konkurrenz?
Wenn man näher zusammen ist schon, aber ich kann nicht taktieren. Einfach schneller zu laufen, geht nicht. Ich muss mein Tempo laufen, sonst breche ich später irgendwann ein. Genau das macht Ultra-Distanzen aus: Es ist ein Kampf mit sich selbst, nicht gegen andere.
Solche Distanzen bewältigt der Körper nicht von einem Tag auf den anderen. Wann sind Sie zum Laufen gekommen?
Mein Vater war früher schon Läufer, da bin ich als Kind schon mit. Als ich ca. 8 Jahre alt war, habe ich einmal an einem Lauf teilgenommen und bin als Letzte ins Ziel, denn ich hatte Probleme mit meinem Asthma – das hat überhaupt keinen Spass gemacht. Erst später habe ich neben dem Handball noch die Freude an längeren Distanzen gefunden. Ich bin dann auch in die Laufgruppe meines Vaters eingetreten, wo ich mit lauter 50-Jährigen trainiert habe.
Sie sind 2016 mit dem zweiten Platz am Eiger Ultra Trail schlagartig in der Trail-Running-Szene aufgetaucht. Wie kamen Sie zum Wettkampfsport?
2014 habe ich einen Startplatz für den Jungfrau-Marathon gewonnen. Mir hat das Laufen in den Bergen gefallen: Möglichst steil bergauf und bergab – abseits von Asphaltstrassen. Im Jahr 2016 habe ich begonnen, systematisch zu trainieren und bin das erste Mal am Eiger Ultra Trail gestartet. Eigentlich wollte ich die 50-Kilometer-Variante laufen. Mein Trainer meinte aber, wenn ich ausprobieren wolle, ob ich 100 km schaffen könne, solle ich es doch einfach versuchen. Dass ich dann Zweite wurde, hat mich selbst überrascht.
Davor gab es auch mal eine Zeit, in der Sie viel Triathlon gemacht haben, wie kam das?
Während meines Studiums hat mal jemand gesagt: Komm doch mit zum Schwimmen mit deinen langen Armen und Beinen – du bist sicher gut. So kam ich zum Triathlon und konnte mich ohne Probleme 2003 und 2004 für den Ironman in Hawaii qualifizieren. Aber irgendwann hat mich das Training gestresst, ich habe mich nur noch über den Sport definiert. Dazu kam, dass wir Kinder wollten. In der Zeit habe ich eigentlich keine Wettkämpfe gemacht, sondern einfach Laufen mit dem Kinderwagen, ohne ein Ziel. Diese Zeit hat mir unglaublich gutgetan.
Wieviel trainieren Sie in der Woche?
15-20 Stunden circa. Das ist im Vergleich zu anderen auf dem Niveau wenig Umfang. Dafür mache ich viele Intervalltrainings.
Wie bringen Sie Ihr Training, die Wettkämpfe mit Ihrer Familie unter einen Hut?
Es ist alles sehr gut geplant. Es braucht viel Disziplin aber auch Flexibilität. Wenn zum Beispiel ein Kind krank ist, muss ich umdenken. Diese Einstellung hilft mir auch an den Wettkämpfen. Wird der Start verschoben oder ist das Wetter schlecht, lasse ich mich nicht gleich aus der Bahn bringen.
Gibt es ein Rennen, das Ihnen besonders gut gefällt?
Landschaftlich sind natürlich alle auf ihre Art sehr schön. In Cortina d’Ampezzo am Lavaredo Ultra Trail zum Beispiel ist die Stimmung am Sonnenaufgang mit dem Blick auf die drei Zinnen einfach einzigartig. Beim Eiger Ultra Trail ist das ganze Rennen mit der beeindruckenden Bergkulisse und der Stimmung einfach super.
Was war Ihr härtester Wettkampf bis jetzt?
Der TDS in Charmonix in diesem Jahr: 145 km und technisch herausfordernd. Das war ein grosser Kampf mit mir selber. Die ersten 100 km sind super gelaufen, da sind die ersten drei Frauen zusammengelaufen. Ich habe mich aber von Anfang an schlecht verpflegt, deshalb bin ich später eingebrochen und kam fast auf den Knien ins Ziel. Es hat zwar trotzdem noch für den 3.Platz gereicht, aber um 4 Uhr nachts ins Ziel zu kommen, ist sehr öde. Und das in Charmonix, wo sonst immer eine super Stimmung ist.
Planen Sie systematisch, was Sie während des Rennens essen?
Ich packe zusammen mit meinem Freund, im Voraus mehrere Säckchen. Er gibt mir dann jeweils ein Säckchen an den Verpflegungsstationen. Bisher konnte ich im Rennen selber nach Gefühl essen. Ich esse einfach dann, wenn ich das Gefühl habe, ich brauche etwas. Beim UTMB ist mir aber genau das zum Verhängnis geworden. Mein Partner konnte nicht so oft an die Strecke und ich habe nicht systematisch genug gegessen.
Wie ernähren Sie sich im Alltag?
Im Alltag esse ich alles und vielseitig. Essen ist auch Genuss, man muss nicht auf alles verzichten. Ich nehme auch keine Supplemente zu mir, ausser Vitamin D im Winter. Man überlädt sich sonst, denn der Körper ist darauf ausgerichtet, Nährstoffe aus natürlichen Lebensmitteln zu ziehen. Das einzige worauf ich achte: Nach langen Trainings oder Wettkämpfen nehme ich schnell Eiweiss zu mir. Ich versuche möglichst viel durch natürliche Lebensmittel zu mir zu nehmen, aber wenn ich mal nicht so viel Zeit habe, gibt es einen Eiweiss-Shake.
Wie regenerieren Sie am besten nach langen Läufen?
Nach einem Rennen ziehe ich Kompressionsstrümpfe an. Ausserdem: Ins warme Wasser, sprudeln, gut essen und Massage.
Was tut Ihnen nach einem Rennen am meisten weh?
Das ist extrem unterschiedlich. Im ersten Jahr nach dem Eiger Ultra Trail hatte ich noch ziemlich Muskelkater, aber mittlerweile bin ich einfach sehr müde danach. Es ist erstaunlich, wie der Körper sich an so lange Distanzen gewöhnen kann.
Haben Sie ein bestimmtes Ziel für diese Saison?
Letztes Jahr war ich 5. Bei der Ultra Trail World Tour. In diese Wertung zählen mehrere Rennen. Mein Ziel wäre es, mal unter die ersten drei zu kommen. Und der UTMB Mont Blanc ist für mich das Haupt-Rennen in der nächsten Saison.
Tipps für Anfänger
- Sich langsam an die längeren Distanzen herantasten. Nicht zu schnell zu viel wollen.
- Auch kurze schnelle Trainings einplanen. Die schnelleren Bewegungen üben – das hilft enorm beim Downhill.
- Stabi-Training: Rumpfmuskeln sind extrem wichtig, gerade beim Bergab laufen.
- Das Laufen mit Stöcken trainieren: Die Stöcke bringen nur etwas, wenn die Technik dazu stimmt.
- Verpflegung austesten: Was vertrage ich gut?
- Mit Intervalltrainings die Trainingszeit effizient nutzen: Wer nicht so viel Zeit für die ganz langen Trainings hat, erhält damit denselben Trainingseffekt. Zudem ist die Erholungszeit der Gelenke, Sehnen und Bänder usw. etwas kürzer als nach einem langen Dauerlauf.
Intervalltraining: So trainiert Kathrin Götz
- 10-15 x 30 Sekunden Sprints
Dazwischen 30 Sekunden Trab-Pause
Insgesamt 2-4 Mal wiederholen mit jeweils 4 Minuten locker joggen dazwischen - Hügelsprints: sehr steile Bergstrasse
10 x 30 Sekunden hochsprinten (maximale Belastung); locker zurück traben